Oder: Wie der Deutsche-Bank-Chef, seine linke Freundin (und taz-Abonnentin) sowie Ulli Kulke in einen Roman kamen
Alfred Herrhausen, in den 80er-Jahren Chef der Deutschen Bank, hatte damals beim „taz“-Wirtschaftsredakteur Ulli Kulke ein etwas größeres Interesse als andere Wirtschafts-Magnaten geweckt. Der Grund: Herrhausens Rolle, die er in jenen Jahren in der Debatte spielte um die Verschuldung der Dritten Welt, insbesondere Lateinamerikas. Er trat für einen teilweisen Schuldenerlass der Banken aus dem Norden ein – das große Thema damals für die Linke. 1987, auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Washington, als das Thema aktuell wurde und Herrhausen deshalb von seinen US-Kollegen als „Innovativer Softie“ bezeichnet wurde, ließ der Banker nach seiner Pressekonferenz die gesamte Wirtschaftspresse links liegen und gab ausschließlich Ulli Kulke ein Interview, für die taz.
Was der taz-Redakteur in dem Moment noch nicht wusste: Der Banker zeigte sich dabei noch auf eine ganz andere Art offen gegenüber Linken. In den frühen 80er-Jahren hatte Herrhausen, einer der mächtigsten Wirtschaftsbosse, bei einer Talkshow eine Abiturientin kennengelernt und eine Beziehung zu ihr begonnen. Seither telefonierte er mehrfach wöchentlich mit ihr über Politik, über die Rolle der Großbanken, über Gerechtigkeit und soziale Fragen, auch über Privates. Ab und zu trafen sie sich. Er riet ihr, Schriftstellerin zu werden, was sie dann auch tat.
Kulke begann, so etwas zu ahnen, als am Morgen des 30. November 1989, an dem Herrhausen ermordet worden war, in fast punkartiger, schwarzer Kleidung eine junge Frau in seinem Redakteurszimmer erschien, eine taz-Leserin. Sie, eine linke Studentin der Politik und Literaturwissenschaften, war sehr bewegt, wollte wissen, was ihre Zeitung jetzt, an dem Tag, für einen Nachruf auf Alfred Herrhausen schreiben würde. Sie wollte nur kurz ein gutes Wort für den mächtigsten Wirtschafts-Boss des Landes einlegen. Sie habe ihn gut gekannt, sehr gut. Dann war sie wieder weg.
Viele taz-Leser dürften sich ein paar Tage später gewundert, manche sich auch am Kopf gekratzt haben, als sie in der linken Zeitung eine Todesanzeige der Studentin, Tanja Neumann hieß sie, für Alfred Herrhausen sahen. Darin stand unter anderem: „In tiefer Trauer um einen unersetzbaren, wundervollen Freund“.
Im Herbst 2004, zum 15. Jahrestag des Herrhausen-Mordes, wollte Kulke der Sache nachgehen, setzte sich auf die Spur jener Studentin, die längst nicht mehr Neumann hieß. Er fand sie über drei Ecken, ließ sich von ihr die Geschichte dieser ganz besonderen Beziehung erzählen und schrieb sie für die Welt am Sonntag auf. Der Beitrag fand eine starke Resonanz in vielen anderen Medien des Landes. So stark, dass die junge Frau, inzwischen heißt sie Tanja Langer, die Beziehung in einem Roman aufarbeitete. Lange vorher war sie – wie der Banker ihr oft geraten hatte – Schriftstellerin geworden, hatte sich etabliert. Auch jener taz-Redakteur spielt (unter anderem Namen wie Herrhausen selbst), in dem Roman eine Rolle.
Hier der Beitrag, der die Sache an die Öffentlichkeit brachte: Der Banker und die linke Studentin. Eine Beziehung der besonderen Art.
Die Süddeutsche Zeitung vom 06.12.2004: „Zum 15. Todestag Herrhausens hat ein Welt-Redakteur die Geschichte aufgeschrieben. Seitdem häufen sich die Anfragen, und Tanja Langer versucht, öffentliche und private Erinnerung zusammenzubringen: das Bild jenes Mannes, der sie in Liebesdingen beriet, und das Bild jenes Herrhausen, den der Spiegel einmal den ‚Herrn des Geldes‘ nannte. ‚Oh Gott, das ist ja mein Alfred‘, dachte sie damals, und eigentlich denkt sie es heute noch.“
…und wie acht Jahre später daraus ein Roman entstand, in dem taz-Redakteur Ulli Kulke, der die Sache publik gemacht hatte, zu einem der Protagonisten avancierte, in einer Nebenrolle.
…hier ein Auszug aus Tanja Langers Roman „Der Tag ist hell, ich schreibe dir“. Mit dem Beginn der längeren Strecke, in der Ulli Kulke alias Jonathan Kepler Tanjas (alias Helens) Erinnerung an den geliebten Banker Alfred Herrhausen alias Julius Turnseck auf die Sprünge hilft.
(Es war übrigens nicht der erste Roman, in dem Ulli Kulke als Protagonist mitspielt. Auch bei Jens Johlers Thriller „Kritik der mörderischen Vernunft“ ist er dabei, als „Pit Kern“, in Anspielung auf Kulkes besondere Beziehung zur Pazifik-Insel Pitcain, siehe: ullikulke.de/reise/ )
Kulkes Nachruf auf Herrhausen in der taz am 1. Dezember 1989
WIE ALLES BEGANN: Das taz-Interview mit dem „innovativen Softie“ Alfred Herrhausen bei der IWF-Tagung in Washington 1987
Ein Jahr später das nächste Interview mit Herrhausen bei der Weltwährungstagung, die 1988 in Berlin stattfand
HERRHAUSEN und die DRITTWELTSCHULDEN: „Zwei vor, zwei zurück“. Ein Kommentar
taz-Kommentar zu Herrhausens Vorstoß zur Schuldenlinderung auch für Osteuropa. Womit der die deutsche – und internationale – Bankenlandschaft ein wenig durcheinander wirbelte
Herrhausen, der Showstar. Ein taz-Kommentar zum Artikel
taz-Exklusiv-Meldung: Herrhausen wird Finanzminister
Ein halbes Jahr vor seiner Ermordung hatte sich die taz mit Herrhausen noch einen Scherz erlaubt. Am 1. April meldete die Zeitung exklusiv, Kanzler Kohl wolle im Zuge seiner Kabinetts-Umbildung seinen guten Freund als Finanzminister nach Bonn holen. Natürlich kommentierte die taz dies auch, roch es doch nach Stamokap pur. dpa verbreitete dies als Agenturmeldung im ganzen Land. Einen ganzen Tag lang rätselte die Szene, ob das sein könnte. Die taz hatte schließlich einen „Draht“ zu Herrhausen. Der selbst schwieg dazu. Abends endlich war Regierungssprecher Friedhelm Ost sich sicher und verkündete: Alles nur ein Aprilscherz. zum Artikel zum Kommentar
Eine gewonnene Wette um Herrhausens Zukunft – die Ulli Kulke erst ein Vierteljahrhundert später eingelöst bekam
Bleibt noch nachzutragen, dass mir meine Geschichte in der „Welt am Sonntag“ im Jahr 2012 über den Roman von Tanja Langer endlich die Begleichung einer mehr als ein Vierteljahrhundert lang vergessenen Wettschuld eingebracht hat. Und das lief so: In dem Beitrag hatte ich in einem Rückblick auf die Pressekonferenz bei der Weltwährungstagung in Washington 1987 geschildert, wie dort der Chef der Deutschen Bank allein der taz ein Interview gab und keinem anderen Blatt oder Radio: „Mit meinem Interview im Kasten fühlte ich mich jedenfalls bestens gewappnet für die Gespräche über Herrhausen mit Kollegen in den Hotel-Lounges der US-Hauptstadt. Herrhausen schien mir, auch aufgrund der verdrucksten Reaktion seines Kollegen Christians, aus seinem Coup gestärkt hervorgegangen zu sein. Damals galt als eine der großen Fragen, ob er demnächst, nach Christians Pensionierung, alleiniger Vorstandsvorsitzender werde, oder ob man ihm, wie es Tradition des Hauses war, wieder einen gleichberechtigten Kollegen zur Seite stellen würde. „Jetzt, nach seinem Coup, wird er es alleine“, war meine feste Überzeugung. Der Kollege des NDR hielt dagegen: „Jetzt erst recht nicht.“ Wir wetteten. Ich gewann. Die Wettschuld, eine Flasche Champagner, steht immer noch aus, obwohl wir uns hier und da noch mal trafen, bei Gelegenheit werde ich den Kollegen daran erinnern,“ (der ganze Beitrag ist hier etwas weiter oben verlinkt). Der Zufall wollte es, dass die Ehefrau jenes NDR-Kollegen die Welt am Sonntag las, als sie gemeinsam mit ihrem Mann im Zug den Oberrhein entlangfuhren. „Bist du das, von dem hier die Rede ist?“ fragte sie. Ertappt. Jetzt gab es kein Verstecken mehr :-). Eine Mail an das Springerhaus, dann ein Treffen im taz-Café, so war der Kreis wieder geschlossen und die Flasche Moët & Chandon wechselte den Besitzer. Kulke leerte sie in seinem Garten gemeinsam mit Tanja Langer.
1988 plante die taz eine gemeinsame Konferenz mit der Weltbank in Berlin. Die „Szene“ drohte und stoppte den Plan
Ulli Kulke beschäftigte sich als Wirtschaftsredakteur in der linken taz bevorzugt mit Geld- und Finanzpolitik – auch deshalb ja spielte der Chef der Deutschen Bank eine besondere Rolle in seiner Berichterstattung. Doch es ging noch weiter.
In den 80er-Jahren fokussierte sich der Diskurs der linken „Internationalisten“ auf das Thema Verschuldung der Dritten Welt. Feindbilder waren die Großbanken wie zum Beispiel die „Deutsche“ mit ihrem Boss Herrhausen. Mehr noch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank, an denen beim Thema Entwicklung und Verschuldung kein Weg vorbei führte. Die Debatte kochte hoch, als die beiden Washingtoner Institutionen ihr jährliches Großereignis, die Weltwährungstagung, 1988 in Berlin abhielten. In der Hochburg der Linken also – und der Heimat der taz.
Für dieses „Heimspiel“ hatten wir uns in der taz-Redaktion etwas Besonderes ausgedacht. Ulli Kulkes Kontakte zum Europabüro der Weltbank in Paris mündeten in der Vorbereitung zu einem damals ungewöhnlichen – und für viele unerhörten – Vorhaben: eine mehrtägige Konferenz, die die „taz“ und die Weltbank gemeinsam veranstalten wollten, im Mai 1988. Zur offenen Diskussion. Auch höhere Bankenvertreter sollten geladen werden. Die Kongresssäle waren reserviert, die Tagesordnung stand, die Hotels für die Spitzenvertreter der Weltbank waren gebucht – doch all das ging dann doch zu weit. Längst hatte sich die Berliner „Szene“ in ihrem Furor auf Krawalle eingerichtet, mit denen sie IWF und Weltbank empfangen wollte, der sich nun auch gegen die taz richten sollte. Graffiti an Hauswänden („Kein Dialog mit den Weltbank-Mördern“ stand in knallroten Buchstaben am „taz“-Gebäude), Drohbriefe der Szene und andere Einschüchterungen ließen befürchten, dass der Kongress gesprengt werden sollte, dass sich „taz“ und Weltbank gemeinsam von starken Polizeikräften, „Bullen“, schützen lassen müssten. Das war undenkbar, hätte die Szene erstrecht aufgebracht. Auch kompromissbereite, eigentlich teilnahmewillige Linke sprachen sich schließlich dagegen aus. Die „taz“ sagte den Kongress ab. Aus heutiger Sicht muss man sagen: Es war voreilig. Wir hätten ihn durchführen sollen.
Die taz geht mit ihrem Vorhaben des taz-Weltbank-Kongresses an die Öffentlichkeit. zum Artikel
Nur wenige Wochen später war das Projekt beendet. Linksradikale wollten jeden Dialog verhindern, zur Not mit Gewalt. zum Artikel
Interview mit einem Vertreter des „BUKO“, der die Protestaktionen gegen die Weltwährungstagung koordinierte. Er sagte: Die taz hätte dort ihr Symposium mit der Weltbank zur Diskussion stellen müssen und schadet der Front gegen IWF und Weltbank. zum Artikel
Abrechnung Ulli Kulkes mit den – meist anonymen – Gegnern des taz-Symposiums, die es erfolgreich torpedierten. zum Artikel zum Artikel2